Johanne Jakobian
Ich werde als Marianne Kriegsmann in Rostock geboren und finde drei Geschwister vor; meine Eltern sind Ärzte. 1945 gehen wir auf die Flucht und landen 1948 in Hannover, wo ich 1949 eingeschult werde. Die Klasse besteht aus ca. 50 Mädchen: zu dritt quetschen wir uns in Bänke, die für zwei vorgesehen sind; trotzdem qualifiziert die Lehrerin die Hälfte für eine höhere Schule. Zum Abschied schreibe ich für sie ein Theaterstück, in dem die ganze Klasse auftritt.
Im Gymnasium lerne ich alte Sprachen, finde eine Freundin und bin Klassensprecherin, fühle mich aber nicht wohl und schwänze die Schule, wo ich kann. Pünktlich zu Weihnachten erfahren meine Eltern, meine Versetzung sei – ja, was? Weder „gefährdet“ noch „ausgeschlossen“ ist angekreuzt. Sie legen das Blatt beiseite, und ich sitze den Rest der Schulzeit ab wie eine Gefängnisstrafe. Lichtblicke sind Laienspiele in anderen Schulen; die eigene bleibt mir verschlossen.
Ich bewerbe mich vergeblich bei Schauspielschulen, studiere in Kiel Deutsch und Geschichte und plane eine Doktorarbeit über den deutschen Illustriertenroman; leider lehnt der Professor das Thema ab. 1968 lerne ich den Physiker Arthur Jabs kennen, den ich 1970 heirate. Mit seiner Hilfe bekomme ich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Stipendium, um den Illustriertenroman zu untersuchen.
Mein Mann arbeitet ein halbes Jahr in die Sowjetunion. Deutsche Medien drucken meine Briefe aus Russland, aber noch denke ich nicht daran, das Schreiben zum Beruf zu machen. 1979 ziehen wir nach Brasilien, wo unser drittes Kind geboren wird und die Geldgier eines Postbeamten die Beförderung meines Illustriertenroman-Manuskripts so verzögert, dass Zerrspiegel. Der deutsche Illustriertenroman 1950-1977 zwar 1981, Deutsche Legenden. Geschichte und Zeitgeschichte im deutschen Illustriertenroman 1945-1977 aber erst 1995 erscheint.
In Brasilien entstehen erste Erzählungen, die ich in die Schublade lege. Meine Kinder pflegen in der Ferienschule mit meiner Hilfe ihre Muttersprache
Wir kommen für 18 Monate nach München. Unsere Kinder (15, 12 und 10) kommen in der Schule zurecht, und ich gehe auf Arbeitssuche. Als Lektorin in einem Buchverlag kann ich mit den Kindern in Deutschland bleiben und veröffentliche 2001 zum ersten Mal eine Erzählung unter dem Namen Johanne Jakobian.
Das Arbeitsklima verschlechtert sich; ich wechsle zu einem Berliner Verlag. Mein Mann kommt wieder nach Deutschland.
Der Berliner Verlag zieht um, die Kinder verlassen uns: Ich habe Zeit, Geschichten zu schreiben, und werde für Literaturpreise nominiert. 2019 erscheint mein letzter Roman Frau Müllers Rache.
Mein Mann stirbt. Ich wohne in München, überarbeite meine Texte und freue mich an vier Enkeln.